Interdisziplinäre Kiefergelenktherapie

Die zahnärztliche Kiefergelenkdiagnostik untersucht Störungen des Kausystems innerhalb der Kieferbewegung sowie der Zahnkontakte und der Kaumuskulatur unter Berücksichtigung fachübergreifender Befunde. Entsprechend notwendige Therapien werden interdisziplinär abgestimmt.

Unser Kausystem unterliegt vielfältigen Belastungen, die das komplizierte Gleichgewicht von Zähnen, Kiefergelenk und Muskulatur beeinflussen können. Viele Beschwerden wie Kopf- und Kiefergelenkschmerzen, Verspannungen oder Nacken-und Rückenschmerzen aber auch Tinnitus können Hinweise auf eine Funktionsstörung des Kiefergelenkes sein.

Die Stellung der Wirbelsäule in allen drei Ebenen hat Einfluss auf den individuellen Zusammenbiss (Okklusion) und wird ihrerseits beeinflusst durch die Stellung der Kiefer zueinander. Fehlstellungen, Skoliosen, Blockaden etc. beeinflussen also auch die Entwicklung des Kopf-und Gesichtsschädels sowie Erfolg und Misserfolg späterer zahnärztlicher Therapie, z.B. in der Kieferorthopädie oder bei der Versorgung von Implantaten.

Bereits 2006 haben wir eine mehrjährige Spezialausbildung für die Diagnostik und Therapie von Kiefergelenkerkrankungen absolviert, die auch osteopathische und orthopädische Zusammenhänge vermittelte. Deswegen ist uns der gemeinsame interdisziplinäre Behandlungsansatz so wichtig. Seitdem arbeiten wir in unserer Praxis schwerpunktmäßig gemeinsam mit Orthopäden, Osteopathen und TCM-Medizinern, Logopäden und Kieferorthopäden zusammen, erstellen in Absprache mit dem Patienten gemeinsame Behandlunspläne und tauschen uns aus zur Vermeidung überflüssiger Diagnostik. Zudem stehen wir als spezialisierte Praxis auch für Überweisungspatienten zur Verfügung. z.B. für die Durchführung der Manuellen Strukturanalyse (MSA) oder unsere 4D-Diagnostik des Zusammenbisses mittels T-Scan.

Beispiele für im individuellen Artikulator und mittels Tscan angepasste Schienen, wie wir sie in unserer Praxis verwenden, finden Sie hier: Zahnwerkstatt ZTM Wozny, Wernigerode. Im Allgemeinen nutzen wir Unterkieferbügelschienen mit Eckzahnführung und punktuellem Seitenzahnaufbiss für Bisshebungen und im Falle von zusätzlichen Abrasionen und einem ästhetisch notwendigen Längenaufbau der Front eine sogenannte Münchener Schiene für Ober- oder Unterkiefer. 

Für detailliertere Informationen klicken Sie bitte auf den entsprechenden Unterpunkt.

Der Unterkiefer hängt in einer Art Muskelschlinge und ist in seiner Lage abhängig von der Aktivität der Kaumuskulatur, aber auch der Muskulatur von Nacken, Hals und Zungenbein. Jede Änderung der Kopfhaltung bewirkt eine Veränderung der Unterkieferlage. Dies gilt auch für Änderungen in der Gesamtstatik des Körpers, z.B. unterschiedliche Beinlängen, Schonhaltungen nach Hüft- oder Knieoperationen etc. Wenn man sich klarmacht, dass die Unterkieferlage durch den Zusammenbiss der Zähne gleichsam zum Oberkiefer verschlüsselt ist, wird das Spannungsfeld, aus dem viele Kiefergelenkprobleme resultieren, deutlich.

Es gibt eine Standarduntersuchung der Deutschen Gesellschaft für Zahnheilkunde (DGZMK), die in den zahnärztlichen Richtlinien vor jeder Kieferorthopädie und jedem Zahnersatz bei Verdacht auf funktionelle Probleme oder stärkeren Änderungen der Okklusion vorgeschrieben ist.

Das Kausystem wird dabei auf Störungen innerhalb der Kieferbewegungen und der Zahnkontakte geprüft sowie Kiefergelenk und Kaumuskulatur untersucht. Ebenso erhält man mit Hilfe der klinischen Funktionsanalyse Informationen über Ursachen akuter Beschwerden und Schmerzen.

In einzelnen Fällen, wie z.B. einer Discusdislokation ( = kompletter „Bandscheibenvorfall“ im Kiefergelenk), sind zusätzlich zum Röntgenbild weitere bildgebende Untersuchungen (DVT, MRT etc.) sinnvoll.

Mit Hilfe zusätzlicher und differenzierterer Untersuchungstechniken aus der Manuellen Therapie, der Manuellen Strukturanalyse (MSA) können Veränderungen im Kiefergelenk bereits erfasst werden, bevor sie Schmerzen verursachen und man kann Risiken für geplante Behandlungen (Kieferorthopädie, Zahnersatz, Implantatversorgungen etc.) besser abschätzen. Zudem ist die Gewinnung von Informationen möglich, für die man sonst mehr bildgebende Verfahren benötigen würde, somit kann also überflüssige Strahlenexposition vermieden werden.

Um dies am Beispiel des Kiefergelenk-Knackens – eines häufigen Problems, mit dem uns Patienten aufsuchen – zu konkretisieren: Es wird nicht nur festgestellt, dass es knackt, sondern auch

  • in welcher Phase der Bewegung es passiert,
  • welche Strukturen daran beteiligt sind,
  • wie sehr diese Strukturen bereits geschädigt sind,
  • welche zahnmedizinischen Ursachen dazu geführt haben
  • ob und wie diese Ursachen zu beheben sind,
  • ob auch orthopädische Faktoren mit beteiligt sein könnten,
  • ob wir als Zahnmediziner allein therapieren können oder interdisziplinär mit Orthopäden, Physio- bzw. Manualtherapeuten oder Osteopathen zusammenarbeiten müssen
  • ob eine Therapie erfolgversprechend ist und vor allem auch, ob das Therapieziel stabil bleiben wird,
  • welche Risiken in der Zukunft bestehen, z.B. für ggf. geplanten Zahnersatz etc…

Der Zusammenbiss kann in Echtzeit mittels einer 4-D Analyse (unter Einbeziehung des zeitlichen Ablaufs)  auf  Stärke und prozentuale Verteilung der Zahnkontakte schnell und schmerzfrei untersucht werden. Mittels dieses T-Scan-Gerätes können auch Veränderungen des Bisses nach orthopädischer und osteopathischer Behandlung erfasst werden.

Das Ziel ist die vollständige Wiederherstellung der ursprünglichen, unberührten und natürlichen Zahn-Kiefer-Funktion oder das Erreichen eines neuen individuellen neuromuskulären Gleichgewichts im Sinne eines adaptierten Systems.

Es handelt sich um einen hypothetischen Fall!

Ein neuer Patient wird von seinem Osteopathen überwiesen, der einen Zusammenhang zwischen dem Zusammenbiss und den Halswirbelsäulenbeschwerden sowie dem bereits vorher HNO-ärztlich abgeklärten Tinnitus im rechten Ohr vermutet. Sinnvoll ist ein erster Besprechungstermin (1) bei vorherigen Fragen zum Ablauf der Diagnostik und Therapie, bei dem auch bereits vorhandene Befunde mitgebracht werden können, um Doppeluntersuchungen zu vermeiden.

Der Beispielpatient hat Röntgenbilder und eine 2 Jahre alte Schiene mitgebracht, außerdem liegt eine ausführliche Email des Osteopathen zu den bisherigen erhobenen Befunden und durchgeführten Therapien vor. Die Kiefergelenke und umgebenden Muskeln sind bereits befundet und therapiert worden. So kann der Umfang der üblichen Kiefergelenkuntersuchung (MSA) deutlich reduziert werden. Nach Aufnahme des allgemeinen Zahn- und Zahnfleischbefundes und kurzer Besprechung des empfohlenen Ablaufes, Abgleich der Krankengeschichte und Übernahme der bisherigen Befunde und Therapien in unsere Dokumentation wird ein Termin (2) vereinbart für die Erhebung der noch fehlenden Analyse des Zusammenbisses im Sitzen/ Stehen. Außerdem werden die Zahnkontakte bei verschiedenen Bewegungen des Unterkiefers und auch die Kontakte auf der Schiene betrachtet. Diese Analyse erfolgt neben Tests mit Okklusionspapier mit unserem Tscan-Gerät, das dreidimensionale Darstellung des Zusammenbisses und auch die Betrachtung des zeitlichen Ablaufes ermöglicht. Der Patient kommt zu diesem Termin direkt nach einer vorherigen Physiotherapiebehandlung, die der Hausarzt für die Halswirbelsäule rezeptiert hat. Deshalb sind die Muskeln entspannt und die Ergebnisse verfälschen sich weniger, erkennbar durch die geringe Abweichung der einzelnen Messungen voreinander.

  • Es ergibt sich ein deutlicher Seitenunterschied in der prozentualen Kraftverteilung des Zusammenbisses.
  • Zudem hat der Patient bei den Seitwärtsbewegungen keine Führung mehr über den eigentlich dafür zuständigen Eckzahn, sondern belastet bei diesen Bewegungen hauptsächlich die Seitenzähne, was die Anspannung der Kaumuskulatur zusätzlich erhöht.
  • Ein kurzer Test der aktiven Drehung des Kopfes zu beiden Seiten zeigt die deutliche Einschränkung der Beweglichkeit beim Zusammenbiss der Zähne. Legt man auf die Seite mit weniger Zahnkontakt Okklusionspapier und wiederholt die Rotation, kann der Patient den Kopf deutlich weiter und leichter drehen.
  • Die bereits vorhandene Schiene gleicht die fehlende Führung des Eckzahnes aus, aber nicht die unterschiedlichen Höhen beider Seiten (im Tscan zeigen sich auf beiden Seiten ähnliche Unterschiede wie ohne Schiene). Auch beim Biss auf die alte Schiene ist die eingeschränkte Drehung des Kopfes festzustellen.

Die bereits vorhandene Schiene ist qualitativ geeignet, um durch Einschleifen einen Ausgleich des Zusammenbisses, kontrolliert durch regelmäßige Tscans, vorzunehmen. Es kann auf eine Neuanfertigung einer Schiene verzichtet werden. Nach Einschleifen ist die Bewegungseinschränkung bei Kopfdrehung deutlich gebessert. Das Spannungsgefühl im Nacken hält dennoch an. Durch Reduzierung der Kontaktflächen mit der Schiene auf Kontaktpunkte kann eine spannungsmindernde Wirkung auf die Kaumuskulatur erreicht werden. Der Patient erhält einen Kontrolltermin (3) und es wird ebenfalls eine osteopathische Kontrolle angeraten.

Nach deutlicher Besserung der Ohrgeräusche und der Verspannungen wird ein morgendlicher Schienenkontrolltermin (4) vereinbart, wofür der Patient nüchtern in die Praxis kommt und die Schiene nach dem nächtlichen Tragen nur kurz zum Zähneputzen aus dem Mund genommen hatte. Der Abgleich der Schienenaufbisssituation mit dem Aufbiss ohne Schiene zeigt, dass sich die Differenzen in den Seiten auf drei zu niedrige Zähne auf der Tinnitusseite konzentrieren, die bereits seit längerer Zeit sehr große Füllungen tragen und vorgesehen waren für eine Brücke, um einen fehlenden Zahn auf dieser Seite zu ersetzen. Diese Behandlung findet beim Hauszahnarzt statt, der sich für den Biss der Brücke an dem erarbeiteten Schienenbiss orientiert. Abschließend kann nach Bedarf nochmals eine Tscan-Aufnahme zur Feinjustierung erfolgen.